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Dieser Artikel stützt sich zwar auf eine Vielzahl von Literatur, basiert aber weitgehend auf einer ausgezeichneten Übersicht über Kalbungsprozesse von Prof. Doug Benn und Kollegen in der Zeitschrift Earth Science Reviews. Wenn Sie mehr über das Kalben von Gletschern wissen wollen, ist diese Übersichtsarbeit ein guter Ausgangspunkt.

Kalben ist der glaziologische Begriff für den mechanischen Verlust (oder einfach das Abbrechen) von Eis an einem Gletscherrand1. Kalben tritt am häufigsten auf, wenn ein Gletscher in Wasser fließt (z.B. in Seen oder den Ozean), kann aber auch auf trockenem Land auftreten, wo es als Trockenkalben bekannt ist2.

Der kalbende Rand des Perito Moreno Gletschers im argentinischen Patagonien. Foto: Liam Quinn

Warum ist das Kalben wichtig?

Bei Gletschern, die in Seen enden (oder Süßwassergletschern), ist das Kalben oft ein sehr effizienter Ablationsprozess und stellt daher eine wichtige Kontrolle der Gletschermassenbilanz dar4-7.

Das Kalben ist auch wichtig für die Gletscherdynamik und die Eisrückzugsraten1. Kalbende Gletscher sind oft sehr dynamisch, mit Verhaltensmustern (z.B. Gletschervorstoß und -rückgang), die zumindest teilweise vom Klima abgekoppelt sind4-7.

Unterschiede zwischen Süßwasser- und Gezeitengletschern

Im Vergleich zu marinen Gletschern (oder Gezeitengletschern), wie den Gletschern an den Rändern der antarktischen und grönländischen Eisschilde, sind Süßwassergletscher normalerweise kleiner und bewegen sich langsamer. Das bedeutet, dass die Prozesse des Kalbens in beiden Gebieten zwar sehr ähnlich sein können, Süßwassergletscher aber tendenziell geringere Kalbungsraten aufweisen1.

Grundlagen des Kalbens: der Bruch des Eises

Bevor das Kalben auftritt, wachsen (oder breiten sich) kleinere Risse und Brüche im Gletschereis zu größeren Gletscherspalten aus (siehe Abbildung unten). Durch das Wachstum der Gletscherspalten wird das Eis in Blöcke geteilt, die dann von der Gletscherspitze in einen angrenzenden See fallen (wo sie als Eisberge bezeichnet werden). Daher ist der Bruch des Eises ein wichtiger Faktor, der bestimmt, wo das Kalben stattfindet, wie groß die gekalbten Eisberge sind und wie oft das Kalben stattfindet1.

Die stark zerklüftete Rüsselspitze des Fjallsjökull, Island, mit Eisblöcken, die sich bei einem Kalben lösen können. Foto: Wojciech Strzelecki

Wachstum von Brüchen

Risse und Brüche im Gletschereis wachsen, wenn die auf einen Bruch wirkende Spannung größer ist als die Bruchfestigkeit des Eises8. Ist diese Bedingung erfüllt, bricht das Eis auf spröde Art und Weise, was dazu führt, dass bestehende Risse tiefer und breiter werden. Große Spannungen treten in vielen Situationen in Gletschern auf. Gute Beispiele dafür sind: wo Gletschereis infolge des Fließens gedehnt („auseinandergezogen“) oder zusammengedrückt („zusammengepresst“) wird.

Beispiel für große Brüche in der Schnauze des Goldbergkees Gletscher in den österreichischen Alpen. Foto: Ewald Gabardi

Wassergefüllte Gletscherspalten

Wasser spielt eine Schlüsselrolle für die Tiefe von Gletscherspalten und die Wahrscheinlichkeit des Kalbens (siehe Abbildung unten). In einer wasserfreien Gletscherspalte wird die Spannung an der Gletscherspitze durch das Gewicht des darüber liegenden Eises ausgeglichen. Dies führt dazu, dass sich ein Riss schließt. In einer mit Wasser gefüllten Gletscherspalte hingegen gleicht der Wasserdruck das Gewicht des Eises aus. Dadurch kann sich eine Gletscherspalte tiefer in das Eis und oft bis zum Gletscherbett ausdehnen8.

Gletscherspalten öffnen sich oft aufgrund des sich ausdehnenden Gletscherflusses, der dazu führt, dass sich das Eis „dehnt“ oder auseinander gezogen wird. In einer wasserfreien Gletscherspalte wird der Riss durch das Gewicht des Eises geschlossen. In einer wassergefüllten Gletscherspalte hingegen wirkt der zusätzliche Wasserdruck dem Gewicht des Eises entgegen, so dass sich der Riss vertiefen kann. (Diagramm modifiziert aus Ref. 8)

Kalbungsprozesse

Es gibt mehrere Hauptkalbungsmechanismen an Süßwassergletschern, die alle mit der Spannung am Gletscherende zusammenhängen1.

Dehnen und Spaltenbildung des Eises

Bei einem Gletscher, der am Ende eines Sees auf dem Boden liegt, wird der Eisfluss in der Nähe der Gletscherspitze im Allgemeinen schneller (aufgrund von Basalgleiten). Dies geschieht, weil die Gletscherspitze fast im Seewasser schwimmt, was den Reibungswiderstand am Boden verringert1,9. Die schnellere Strömung in der Nähe des Endpunkts führt dazu, dass sich das Eis „streckt“ und sich Gletscherspalten ausbreiten (siehe Abbildung unten). Dieser als Längsstreckung bezeichnete Prozess führt zu stark spaltenreichen Gletscherspitzen (siehe Abbildung unten). Das Kalben erfolgt entlang der durch die Gletscherspalten gebildeten Schwächungslinien1,9,10.

Schnelleres Fließen des Eises in der Nähe des Gletscherrandes führt aufgrund des geringeren Widerstandes an der Basis dazu, dass sich das Eis ausdehnt und sich Gletscherspalten öffnen. Wenn die Spannungen hoch sind, breiten sich die Gletscherspalten durch den Gletscher aus und es kommt zum Kalben.

Der stark zerklüftete Endpunkt des Grey Glacier, chilenisches Patagonien, entstand teilweise durch die Längsdehnung des Eises. Photo: NASA Earth Observatory

Gletscherspalten können sich auch in weiter gletscheraufwärts gelegenen Gebieten bilden, z. B. in Eisfällen, wo das Eis schnell über steiles Gelände fließt8. Die in Eisfällen gebildeten Gletscherspalten stellen wahrscheinliche Kalbungszonen dar, wenn sie sich gletscherabwärts zum Endpunkt bewegen (siehe nachstehendes Diagramm)1.

Gletscherspalten, die sich in steilem Gelände bilden, wie z.B. in Eisfällen, stellen wahrscheinliche Kalbungszonen dar, wenn sie den Endpunkt des Gletschers erreichen. T1 = Gletscherspalten bilden sich im Eisfall. T2 = Gletscherspalten bewegen sich gletscherabwärts und begünstigen das Kalben.

Kraftungleichgewichte am Gletscherende

An einem schwimmenden Gletscherende sind der nach außen gerichtete kryostatische Druck (d.h. der Druck, der vom Eis ausgeübt wird) und der nach innen gerichtete hydrostatische Druck (d.h. der Druck, der vom Wasser ausgeübt wird) nicht im Gleichgewicht (siehe Diagramm unten)11. Unterhalb der Wasserlinie des Sees gleicht der hydrostatische Druck den kryostatischen Druck zum Teil aus. Oberhalb der Wasserlinie gibt es jedoch nur sehr wenig nach innen gerichtete Kraft (aus der Atmosphäre), die dem kryostatischen Druck entgegenwirkt11. Dieses Ungleichgewicht schafft eine Zone hoher Spannung an der Eisoberfläche, die Spalten öffnet und das Kalben fördert1.

Diagramm zur Veranschaulichung der Unterschiede zwischen nach außen gerichtetem kryostatischem Druck und nach innen gerichtetem hydrostatischem Druck. Oberhalb der Wasserlinie des Sees gleicht die Atmosphäre den kryostatischen Druck kaum aus, was zu hohen Spannungen in der terminalen Eisklippe und zum Kalben führt.

Unterschneidung einer terminalen Eisklippe

Gletschereis an oder unterhalb der Wasserlinie eines Sees schmilzt oft schneller als das Eis oberhalb der Wasserlinie eines Sees. Durch das Schmelzen der Wasserlinie wird oft eine Kerbe erodiert, die die kalbende Eisklippe unterschneidet (siehe Abbildung unten)6,12,13. Nach der Unterspülung kann das Kalben durch das Vorwärtskippen überhängender Eisblöcke oder durch den Einsturz des Daches einer Wasserlinienkerbe erfolgen1.

Wasserlinienkerben entstehen oft im Sommer, hören aber im Winter auf, sich zu bilden, wenn die Temperaturen des Gletschersees kühler sind und/oder die Seeoberfläche zufriert. Das Kalben durch Kerbenerosion folgt daher tendenziell einem jahreszeitlichen Muster6,12,13.

Beispiel einer thermo-erosionalen Kerbe, die in den terminalen Eisfelsen geschnitten wurde. Photo: Michael Clarke

Das Schmelzen an oder unterhalb der Wasserlinie eines Sees kann eine Kerbe in eine terminale Eisklippe (T1) erodieren. Wenn die Kerbe im Laufe der Zeit wächst, wird die Eisklippe instabil und die Blöcke kippen nach außen (T2).

Einbruch des Perito Moreno Gletschers im argentinischen Patagonien aufgrund des Einsturzes der Decke eines Gletschertunnels. Photo: Rafael Bernstein

Auftriebskräfte an einem Gletscherterminus

Wenn die Oberfläche eines Gletschers so dünn wird, dass sie unter das für den Auftrieb des Eises erforderliche Niveau sinkt, erhält der Rand Auftrieb und hebt vom Untergrund ab7. Wenn die Oberfläche weiter abnimmt, nimmt der Auftrieb zu, was zu großen Biegekräften an der Grundlinie, zum Wachstum großer Gletscherspalten und schließlich zum Kalben führt7. Bei diesem Prozess entstehen oft große Eisberge.

Auftrieb kann große Biegekräfte an der Grundlinie des Gletschers verursachen, wenn die Gletscheroberfläche auf Flotationsniveau absinkt. Dabei werden große tafelförmige Eisberge freigesetzt.

Auftriebskräfte können auch zu Kalbungen unterhalb der Seeoberfläche führen. Unterseeisches Kalben tritt häufig dort auf, wo sich ein „Eisfuß“ aufgrund von Kalbungsverlusten oberhalb der Wasserlinie (z. B. durch Kerb-Erosion und umstürzende Eisklippen) gebildet hat. Durch den Verlust von Eis oberhalb der Wasserlinie verringert sich der Druck der Eisdecke, der auf den „Eisfuß“ drückt, so dass aufwärts gerichtete Auftriebskräfte das Eis brechen und das Kalben verursachen können1. Bei solchen Ereignissen können Eisberge schnell an die Seeoberfläche schießen und manchmal 100 Meter von der Eisfront entfernt auftauchen.

Auftriebskräfte verursachen das Kalben eines unterseeischen ‚Eisfußes‘ aufgrund des Verlusts von Eis oberhalb der Wasserlinie und des verringerten Drucks der Eisdecke.

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