Für den heutigen Hörer, der alle Sinfonien Beethovens kennt, bedarf es einer gewissen historischen Vorstellungskraft, um zu verstehen, wie seine Zeitgenossen diese neuen Werke nacheinander aufnahmen und wie der Komponist ihre Erwartungen immer wieder herausforderte. Aus unserer Sicht neigt die legendäre Brillanz insbesondere der Dritten, Fünften und Neunten Symphonie unweigerlich dazu, die Symphonien in ihrem Umfeld in den Schatten zu stellen und zu verschleiern, wie neuartig andere Werke waren, als sie uraufgeführt wurden.
Die Herausforderungen begannen mit Beethovens Erster Symphonie, die mit einer „falschen Tonart“ begann. Wie wir in der ersten Hälfte dieses Konzerts hörten, war die zweite Symphonie keineswegs ein Rückzug, wie die Kommentare heute oft suggerieren, sondern setzte das Experimentieren fort. Die Dritte, die mächtige „Eroica“, markierte aufgrund ihrer Länge, Komplexität, ihres außermusikalischen Programms und ihres ästhetischen Anspruchs eindeutig einen Wendepunkt in Beethovens kompositorischer Entwicklung. Die Leute dachten: Was würde – was könnte – Beethoven als nächstes tun? Ein Kritiker aus jener Zeit äußerte sich wie folgt über die Vierte: „Dass der Komponist in seinen Werken einen individuellen Weg geht, zeigt sich auch in diesem Werk; inwieweit dieser Weg der richtige ist und nicht eine Abweichung, mögen andere entscheiden. Der große Meister erscheint mir hier, wie in mehreren seiner neueren Werke, zuweilen übermäßig bizarr, und daher auch für kundige Kunstfreunde leicht unverständlich und abschreckend.“
Ein vernachlässigtes Werk
Biographische und historische Darstellungen neigen oft dazu, die Vierte zu überspringen und zur berühmten Fünften überzugehen. Tatsächlich ist Beethovens Vierte die am wenigsten bekannte und aufgeführte seiner Sinfonien (eine der neun muss es natürlich sein) und würde wahrscheinlich noch weniger aufgeführt werden, wenn sie nicht der Vollständigkeit halber auf Aufnahmen und in Aufführungszyklen, wie sie die Philadelphians in dieser Saison unternehmen, auftauchen würde.
Die relative Vernachlässigung des Werkes begann schon zu Beethovens eigener Zeit. Im Jahr 1814, als er auf dem Höhepunkt seines populären Ruhmes und Erfolges stand, kommentierte ein Kritiker der führenden Musikzeitschrift Europas, dass es ausführliche Besprechungen seiner Werke gäbe, und fügte hinzu: „Die B-Dur-Symphonie des Meisters ist gewiss schon mehrmals kurz und treffend beschrieben, aber nie erschöpfend besprochen worden. Verdient sie weniger als alle anderen?“ Es scheint, dass damals wie heute die Vierte im Schatten stand. Wie ein scharfsinniger Kritiker 1811 bemerkte: „Im Großen und Ganzen ist das Werk heiter, verständlich und fesselnd und steht der zu Recht geliebten Ersten und Zweiten Sinfonie des Komponisten näher als der Fünften und Sechsten.
Beethoven schrieb die Vierte im Spätsommer und Herbst 1806, als er sich im Schloss des Grafen Franz von Oppersdorff in Oberschlesien aufhielt, weit weg vom geschäftigen Treiben in Wien. Der Graf beschäftigte sein eigenes Orchester, das die Zweite Symphonie für Beethoven aufführte, der sich bald bereit erklärte, eine neue Symphonie für den Grafen zu schreiben, dem sie schließlich gewidmet wurde. Die Vierte wurde im März 1807 bei einem Privatkonzert im Palais Lobkowitz in Wien uraufgeführt. Auf dem Programm standen auch die Uraufführung des Vierten Klavierkonzerts (mit dem Komponisten am Klavier) und die Coriolan-Ouvertüre. Zu dieser Zeit gab es nur wenige veröffentlichte Kommentare. In einer der ersten Rezensionen vom Januar 1808 wurde die Symphonie allgemein gelobt: „Das erste Allegro ist sehr schön, feurig und reich an Harmonie, und auch das Menuett und das Trio haben einen ausgeprägten, originellen Charakter. Im Adagio könnte man sich manchmal wünschen, dass die Melodie nicht so sehr auf die verschiedenen Instrumente aufgeteilt wäre.“ Am Ende von Beethovens Leben, als sich die Zeitgenossen daran gewöhnt hatten, wie weit der Komponist die Grenzen der Musik erweitert hatte, betrachteten sie die Vierte als klassische Kost. Ein Kritiker urteilte: „Es gibt keine Worte, um den tiefen, kraftvollen Geist dieses Werks aus seiner früheren und schönsten Periode zu beschreiben.“
Ein genauerer Blick
Obwohl Beethoven in der Dritten Symphonie keine langsame Einleitung verwendet hatte, kehrte er für die Vierte zu einer solchen zurück, wie er sie in seinen ersten beiden Symphonien verwendet hatte und wie man sie oft in den späteren Symphonien von Haydn, seinem ehemaligen Lehrer, findet. (Das Adagio ist in diesem Fall Haydns Symphonie Nr. 102 in derselben Tonart besonders ähnlich). Was einige Kritiker als „bizarr“ empfanden, waren die stechenden Dissonanzen, die sich in der Einleitung aufbauen, bevor ein mitreißendes, melodienreiches Allegro vivace folgt.
Das Adagio ist ein ausdrucksstarkes und entspanntes Rondo in Es-Dur. Der dritte Satz (Allegro vivace) verbindet Elemente von Scherzo und Menuett und lässt den Trioteil zweimal spielen, wodurch eine fünfteilige Struktur anstelle der üblichen dreiteiligen Form entsteht. Die Sinfonie schließt mit einem schillernden Perpetuum mobile Allegro ma non troppo, das wiederum eine Anspielung auf Haydn ist.