Die Amerikaner ertrinken in einem Meer von Umfragen

Die Umfragen sind zu einem wesentlichen Bestandteil der Nachrichten geworden, insbesondere im Vorfeld einer Wahl.

Die Berichte über die Umfragen fließen in das ein, was oft als „Pferderennen-Berichterstattung“ bezeichnet wird – wer vorne oder hinten liegt, ob sich die relative Position der Kandidaten seit der letzten Umfrage verändert hat und wie ihre Chancen auf einen Sieg am Wahltag stehen.

Was die Berichterstattung über die Umfragen nicht offenbart, ist etwas Substanzielles über die Position eines Kandidaten. Die Betonung der Berichterstattung über das Pferderennen bedeutet, dass auf kurze Sicht die Gelegenheit verpasst wird, die Wähler über Themen und Politik zu informieren, anstatt über die Position der Kandidaten.

Längerfristig kann sich dies negativ auf die Funktionsweise der Demokratie auswirken.

Steigender Fokus

Die Zahl der durchgeführten und gemeldeten Umfragen hat zweifellos zugenommen, doch ist es schwierig, diese Zunahme zu quantifizieren.

In einer Zeit des „Präzisionsjournalismus“, in der Statistiken und datengestützte Berichterstattung im Vordergrund standen, wendeten sich die Nachrichtenorganisationen der Verwendung von Umfragen zu.

Im Laufe der Jahre hat sich die Datenerfassung von Telefonanrufen auf Webumfragen verlagert, bei denen Technologien wie computergestützte Wählsysteme in Verbindung mit interaktiven Sprachaufzeichnungsgeräten (IVR) eingesetzt werden, um Fragen zu stellen und die Antworten auf Tastentelefonen aufzuzeichnen.

Das hat dazu geführt, dass Umfragen einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden können, auch wenn sie manchmal qualitativ schlechtere Daten liefern. Und es bedeutet auch, dass lokale Nachrichtenorganisationen oft Umfragen zu lokalen Themen von Interesse sponsern können, die von Personen durchgeführt werden, die keine formale Ausbildung in Umfragemethoden haben.

Vergleiche über die Zeit sind schwierig, aber einige Forscher haben es versucht – zum Beispiel, indem sie ihren Fokus auf Umfragen auf nationaler Ebene mit Live-Interviewern in einem Wahljahr eingegrenzt haben. Diese Studien zeigen einen langsamen, aber spürbaren Anstieg der Zahl solcher Umfragen, von 17 im Jahr 1952 auf 308 im Jahr 2016. Der starke Anstieg im Jahr 1980 ist darauf zurückzuführen, dass Nachrichtenorganisationen begannen, ihre eigenen Umfragen mit Hilfe von Telefonen durchzuführen.

Dies ist eindeutig eine Untererfassung des öffentlichen Kontakts mit Umfragedaten, da die Studie Umfragen mit staatlichen oder lokalen Stichproben, Online- und IVR-Umfragen sowie Umfragen zu anderen Themen als den Präsidentschaftswahlen ausklammert.

Eine andere Forschungsrichtung hat sich mit Verweisen auf Umfragen in der Wahlkampfberichterstattung beschäftigt. Auch hier wurde festgestellt, dass sich die Verwendung der Ausdrücke „Umfragen zeigen“ oder „Umfragen sagen“ in einer Reihe von Nachrichtenquellen seit 2000 verdoppelt hat. In einem Präsidentschaftswahljahr geht die Zahl solcher Verweise inzwischen in die Zehntausende.

Veränderte Berichterstattung

Da sich die Medien mehr auf diese Dynamik des Wahlkampfs konzentrieren, hat die Berichterstattung über die Positionen der Kandidaten und die Reaktion der Öffentlichkeit darauf abgenommen.

Eine Studie über den Präsidentschaftswahlkampf 2016 ergab, dass sich in fünf großen Zeitungen fast die Hälfte der Berichterstattung über jeden Kandidaten auf das Pferderennen konzentrierte (43 % für Hillary Clinton und 42 % für Donald Trump), viel mehr als auf ihre politischen Positionen (9 % für Clinton und 12 % für Trump). Dieser Trend setzt sich seit den 1970er Jahren fort, als die Wähler den Großteil ihrer Nachrichten aus dem Printjournalismus und den Anzeigen der Kandidaten bezogen.

Die Öffentlichkeit ist zwar mehr Daten ausgesetzt, erfährt aber nicht viel darüber, wer die Kandidaten sind und wo sie politisch stehen.

Das Ergebnis ist ein erheblicher Informationsverlust, denn der Wahlkampf ist eine der kurzen Perioden, in denen sich die Bürger für Politik interessieren und ihr Aufmerksamkeit schenken.

Die Ansichten der Wähler

Forschungen zeigen, dass Parteianhänger enthusiastischer sind, wenn ihr Kandidat vorne liegt, und weniger enthusiastisch, wenn ihr Kandidat im Hintertreffen ist.

Das kann bedeuten, dass die Menschen weniger bereit sind, an der nächsten Umfrage teilzunehmen, wenn ihr Kandidat nicht gut abschneidet. Bei derartigen Unterschieden in der Beteiligung von einer Umfrage zur nächsten kann dies den Wettbewerb unbeständiger erscheinen lassen, als er tatsächlich ist.

Die Berichterstattung über Umfragen kann dazu führen, dass manche Menschen eher für denjenigen stimmen, der in Führung liegt – ein Mitläufereffekt. Es kann aber auch dazu führen, dass sie eher für denjenigen stimmen, der hinter ihnen liegt – ein Außenseitereffekt. Die Forschung hat gezeigt, dass beide Effekte während des Wahlkampfes wahrscheinlich gleichzeitig auftreten.

Das macht es sehr schwierig, sie während des Wahlkampfes zu untersuchen, da sich diese Effekte gegenseitig aufheben würden. Es gibt jedoch umfangreiche experimentelle Beweise, die im Labor und in Umfragen gesammelt wurden und zeigen, dass diese Effekte auftreten.

Die vielleicht wichtigste Folge der mit Umfrageergebnissen gespickten Berichterstattung über Pferderennen ist, dass sie das Vertrauen in die Regierung schwächt. Da sich die Berichterstattung auf das Eigeninteresse der Politiker konzentriert, die Nominierung zu gewinnen oder gewählt zu werden, und nicht auf ihre politischen Positionen, bekommen die Wähler den Eindruck, dass die Kandidaten nur auf ihr eigenes Wohl aus sind und nicht die Interessen der Wähler im Auge haben.

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