Sturzrisikobewertung für ältere Erwachsene: Das Hendrich-II-Sturzrisikomodell

HINTERGRUND: Stürze bei älteren Erwachsenen haben, anders als bei Erwachsenen anderen Alters, in der Regel multifaktorielle Ursachen, wie akute1,2 und chronische3,4 Krankheiten, Medikamente,5 als Vorboten anderer Krankheiten6 oder als idiopathische Phänomene. Da die Sturzrate proportional mit der Zahl der Vorerkrankungen und Risikofaktoren zunimmt,7 ist die Bewertung des Sturzrisikos ein nützlicher Leitfaden für die behandelnden Ärzte. Mit einer umfassenden Bewertung nach dem Sturz muss auch die zugrunde liegende Ätiologie des Sturzes ermittelt werden.8 Die Bewertung des Sturzrisikos und die Bewertung nach dem Sturz sind zwei miteinander verbundene, aber unterschiedliche Ansätze zur Sturzbewertung, die beide von nationalen Berufsverbänden empfohlen werden.9

Instrumente zur Bewertung des Sturzes wurden häufig nur bei der Einweisung oder selten im Verlauf einer Krankheit oder im Rahmen des primären Gesundheitsmanagements einer Person eingesetzt. Jährlich wiederholte Beurteilungen und Änderungen des Patientenstatus erhöhen die Zuverlässigkeit der Beurteilung und helfen bei der Vorhersage von Veränderungen des Zustands, die auf ein Sturzrisiko hindeuten.

BEST PRACTICE APPROACH: In der Akutversorgung umfasst ein Best-Practice-Ansatz die Verwendung des Hendrich-II-SturzrisikomodellsTM, das schnell anzuwenden ist und eine Bestimmung des Sturzrisikos auf der Grundlage des Geschlechts, des mentalen und emotionalen Status, der Schwindelsymptome und der bekannten Kategorien von Medikamenten, die das Risiko erhöhen, ermöglicht.10 Dieses Instrument dient zur Ermittlung des Sturzrisikos und ist ein wesentlicher Bestandteil einer Nachuntersuchung zur sekundären Sturzprävention.

ZIELGRUPPE: Das Hendrich II SturzrisikomodellTM soll in der Akutpflege für Erwachsene, in der ambulanten Pflege, im betreuten Wohnen, in der Langzeitpflege und in der Gesundheitsfürsorge eingesetzt werden, um sturzgefährdete Erwachsene zu identifizieren und Maßnahmen zu ergreifen, die das Vorhandensein des Risikofaktors nach Möglichkeit verringern.

VALIDITÄT UND ZUVERLÄSSIGKEIT: Das Hendrich-II-SturzrisikomodellTM wurde ursprünglich in einer großen Fallkontrollstudie in einer tertiären Akutpflegeeinrichtung mit Fachpflege-, verhaltensmedizinischen und Rehabilitationspopulationen validiert. Die Risikofaktoren des Modells standen in einem statistisch signifikanten Zusammenhang mit Stürzen von Patienten (Odds Ratio 10,12-1,00, .01 > p <.0001). Die inhaltliche Validität wurde durch eine umfassende Literaturrecherche, die anerkannte Pflegenomenklatur und die umfangreiche Erfahrung der leitenden Prüfärzte auf diesem Gebiet nachgewiesen.11

Das Instrument ist sensitiv (74,9 %) und spezifisch (73,9 %), wobei die Inter-Rater-Reliabilität eine 100-prozentige Übereinstimmung misst.11 In zahlreichen nationalen und internationalen veröffentlichten und unveröffentlichten Studien und Präsentationen wurde das Hendrich II SturzrisikomodellTM in verschiedenen Bereichen getestet. So hat das Modell beispielsweise eine hohe Sensitivität und Spezifität für die Vorhersage des Sturzrisikos bei allgemeinen Akutpatienten und seit kurzem auch bei psychiatrischen Patienten gezeigt, was auf die Nützlichkeit bei dieser Patientengruppe hindeutet.11,12

Das Modell wurde außerdem in mehreren internationalen Studien erfolgreich eingesetzt. So wurde das Modell beispielsweise ins Portugiesische übersetzt und in stationären Einrichtungen in Portugal evaluiert.13 Die Autoren dieser Studie berichteten über eine Sensitivität von 93,2 % bei der Aufnahme und 75,7 % bei der Entlassung, mit positiven und negativen Vorhersagewerten von 17,2 % bzw. 97,3 %. Das Modell wurde auch für den Einsatz in der italienischen geriatrischen Akutversorgung angepasst und zeigte in einer Studie eine hohe Spezifität, Sensitivität und Inter-Rater-Zuverlässigkeit.14 Ein Vergleich des Hendrich-II-ModellsTM mit anderen Sturzrisikomodellen in der australischen Akutversorgung ergab eine ähnliche, starke Sensitivität im Vergleich zu anderen Modellen, aber nur eine akzeptable Spezifität mit dem Hendrich-II-ModellTM.15 Kürzlich berichtete eine Studie aus dem Libanon über eine höhere Sensitivität des Hendrich II Modells™ im Vergleich zur Morse Sturzskala für die Sturzvorhersage bei 18,15 stationären Patienten.16 Schließlich wurde das Modell ins Chinesische übersetzt und bei älteren stationären Patienten in einem Krankenhaus in Peking, China, evaluiert.17 Die chinesische Version des Modells zeigte eine ausgezeichnete Wiederholbarkeit, Inter-Rater-Zuverlässigkeit, Inhaltsvalidität und, was am wichtigsten ist, eine hohe Sensitivität (72 %) und Spezifität (69 %) für die Sturzrisikovorhersage.

STÄRKEN UND GRENZEN: Die wichtigsten Stärken des Hendrich-II-SturzrisikomodellsTM sind seine Kürze, die Einbeziehung von „risikoreichen“ Medikamentenkategorien und die Konzentration auf Interventionen in bestimmten Risikobereichen statt auf einen einzigen, summierten allgemeinen Risikoscore. Dieses Instrument enthält Kategorien von Medikamenten, die das Sturzrisiko erhöhen, sowie unerwünschte Wirkungen von Medikamenten, die zu Stürzen führen. Darüber hinaus kann das Hendrich II SturzrisikomodellTM mit Genehmigung in bestehende elektronische Gesundheitsplattformen und Dokumentationsformulare eingefügt oder als einzelnes Dokument verwendet werden. Es wurde in elektronische Gesundheitsakten mit gezielten Interventionen integriert, die das Pflegepersonal auffordern und warnen, spezifische Risikofaktoren zu ändern und/oder zu reduzieren.11

FOLLOW-UP: Das Sturzrisiko erfordert eine gründliche Bewertung sowie eine sofortige Intervention und Behandlung. Das Hendrich-II-SturzrisikomodellTM kann verwendet werden, um das Sturzrisiko im Laufe der Zeit, mindestens einmal jährlich und bei Änderungen des Patientenstatus in allen klinischen Bereichen zu überwachen. Bewertungen nach einem Sturz sind auch für einen evidenzbasierten Ansatz zur Reduzierung der Sturzrisikofaktoren von entscheidender Bedeutung.

1. Gangavati, A., Hajjar, I., Quach, L., Jones, R.N., Kiely, D.K., Gagnon, P., & Lipsitz, L.A. (2011). Bluthochdruck, orthostatische Hypotonie und das Risiko von Stürzen in einer in der Gemeinschaft lebenden älteren Bevölkerung: The maintenance of balance, independent living, intellect, and zest in the elderly of Boston study. JAGS, 59(3), 383-389.

2. Sachpekidis, V., Vogiatzis, I., Dadous, G., Kanonidis, I., Papadopoulos, C., & Sakadamis, G. (2009). Karotissinus-Hypersensibilität ist häufig bei Patienten mit Hüftfrakturen und unerklärlichen Stürzen. Pacing and Clinical Electrophysiology, 32(9), 1184-1190.

3. Stolze, H., Klebe, S., Zechlin, C., Baecker, C., Friege, L., & Deuschl, G. (2004). Stürze bei häufigen neurologischen Erkrankungen – Prävalenz, Risikofaktoren und Ätiologie. Journal of Neurology, 251(1), 79-84.

4. Roig, M., Eng, J.J., MacIntyre, D.L., Road, J.D., FitzGerald, J.M., Burns, J., & Reid, W.D. (2011). Stürze bei Menschen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung: An observational cohort study. Respiratory Medicine, 105(3), 461-469.

5. Cashin, R.P., & Yang, M. (2011). Verordnete Medikamente und das Auftreten von Stürzen bei stationären Patienten der Allgemeinmedizin. The Canadian Journal of Hospital Pharmacy, 64(5), 321-326.

6. Miceli. D.L., Waxman, H., Cavalieri, T., & Lage, S. (1994). Prodromale Stürze bei älteren Pflegeheimbewohnern. Applied Nursing Research, 7(1), 18-27.

7. Tinetti, M.E., Williams, T.S., & Mayewski, R. (1986). Sturzrisikoindex für ältere Patienten auf der Grundlage der Anzahl chronischer Behinderungen. American Journal of Medicine, 80(3), 429-434.

8. Gray-Miceli, D., Johnson, J, & Strumpf, N. (2005). Ein schrittweiser Ansatz für eine umfassende Beurteilung nach einem Sturz. Annals of Long-Term Care, 13(12), 16-24.

9. Gremium zur Prävention von Stürzen bei älteren Menschen. American Geriatrics Society, British Geriatrics Society, & American Academy of Orthopaedic Surgeons Panel on Falls Prevention. (2011). Zusammenfassung der aktualisierten klinischen Praxisleitlinie der American Geriatrics Society/British Geriatrics Society zur Prävention von Stürzen bei älteren Menschen. JAGS, 59(1), 148-157.

10. Hendrich, A.L. Bender, P.S. & Nyhuis, A. (2003). Validierung des Hendrich II Sturzrisikomodells: Eine große gleichzeitige Fall-/Kontrollstudie mit hospitalisierten Patienten. Applied Nursing Research, 16(1), 9-21.

11. Hendrich, A., Nyhuuis, A., Kippenbrock, T., & Soga, M.E. (1995). Hospital falls: Entwicklung eines Vorhersagemodells für die klinische Praxis. Applied Nursing Research, 8(3), 129-139.

12. Van Dyke, D., Singley, B., Speroni, K. G., & Daniel, M. G. (2014). Bewertung von Instrumenten zur Sturzrisikobewertung für die Sturzprävention bei psychiatrischen Patienten: eine vergleichende Studie. Journal of Psychosocial Nursing and Mental Health Services, 52(12), 30-35.

13. Caldevilla, M.N., Costa, M.A., Teles, P., & Ferreira, P.M. (2012). Evaluierung und kulturübergreifende Anpassung des Hendrich-II-Sturzrisikomodells an die portugiesische Sprache. Scandinavian Journal of Caring Sciences. doi: 10.1111/j.1471-6712.2012.01031.x

14. Ivziku, D., Matarese, M., & Pedone, C. (2011). Prädiktive Validität des Hendrich-Sturzrisikomodells II in einer akutgeriatrischen Station. International Journal of Nursing Studies, 48(4), 468-474.

15. Kim, E. A., Mordiffi, S. Z., Bee, W. H., Devi, K., & Evans, D. (2007). Bewertung von drei Instrumenten zur Beurteilung des Sturzrisikos in der Akutpflege. Journal of Advanced Nursing, 60(4), 427-435.

16. Nassar, N., Helou, N., & Madi, C. (2014). Vorhersage von Stürzen mit zwei Instrumenten (dem Hendrich Fall Risk Model und der Morse Fall Scale) in einer Akutpflegeeinrichtung im Libanon. . Journal of Clinical Nursing, 23(11-12), 1620-1629.

17. Zhang, C., Wu, X., Lin, S., Jia, Z., & Cao, J. (2015). Evaluation of Reliability and Validity of the Hendrich II Fall Risk Model in a Chinese Hospital Population. PLoS One, 10(11), e0142395.

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