Für so winzige, oberflächliche Wunden können Papierschnitte eine Menge Schmerzen verursachen. Warum also scheinen diese kleinen Schnitte manchmal genauso weh zu tun wie größere Verletzungen?
Das hat weniger mit der Größe der Schnitte selbst zu tun als vielmehr mit den Körperregionen, in denen wir uns oft schneiden.
Ihre Nerven: Manhattan vs. ländliches Kansas
Unser Gesicht, unsere Hände und Fingerspitzen sind reichlich mit Nerven versorgt, d. h. sie sind voller winziger Nerven und Nervenenden, die sensorische Informationen durch Berührung empfangen müssen, damit wir feinmotorische Funktionen ausführen können. Jede dieser Nervenfasern ist wie ein elektrisches Kabel oder eine Telefonleitung, die dazu dient, verschiedene Arten von Informationen zwischen unserem Gehirn und dem Rest unseres Körpers zu transportieren.
Ein Körperteil wie die Fingerspitze ist wie Manhattan – voll von sich kreuzenden Drähten und Kabeln für eine dichte Bevölkerung. Selbst ein kleines Ereignis in Manhattan könnte die Strom- oder Telefonversorgung für viele Menschen unterbrechen. Aber unser Rücken gleicht eher einer trostlosen Gegend in Kansas, wo ein Auto gegen einen Telefonmast prallen und die Versorgung nur einiger weniger Bewohner beeinträchtigen könnte.
Deshalb ist der Schmerz bei gewöhnlichen Papierschnitten so exquisit – ein Papierschnitt am Finger, an den Lippen oder an der Zunge durchtrennt viel mehr Nervenenden und löst mehr Schmerzrezeptoren aus, als es auf dem Rücken der Fall sein könnte.
Diese dicht durchbluteten Bereiche des Körpers sind auch reichlich mit Blut versorgt. Viele winzige Kapillaren erstrecken sich unter der Haut von Gesicht, Händen und Fingern, so dass ein Schnitt mit der Kante eines Papiers mehr Blutungen verursacht, als wenn man sich an einer anderen Stelle des Körpers geschnitten hätte.
Für manche Menschen sind Papierschnitte sogar noch schlimmer
Wer an Neuropathie (Nervenschäden) leidet, wie z. B. die durch Diabetes verursachten Schäden an Händen und Füßen, kann bei Papierschnitten stärkere Schmerzen verspüren. Eine Immunkrankheit wie Fibromyalgie, die die Art und Weise verändert, wie das Gehirn Schmerzsignale erkennt, kann ebenfalls dazu führen, dass Menschen empfindlicher auf Schnitte reagieren.
Andererseits spüren manche Menschen mit Nervenschäden einen Papierschnitt möglicherweise überhaupt nicht, was zu weiteren Schäden führen kann.
Der Schmerz bei Papierschnitten ist ein Schutzmechanismus – er macht einem bewusst, dass man einen Schnitt hat, und zwingt einen dazu, diesen Körperbereich ein oder zwei Tage lang zu schonen, um eine Infektion oder weitere Schäden zu vermeiden. Aber wenn man kein Gefühl hat und den Schmerz nicht spürt, geht man weniger vorsichtig mit der Schnittwunde um, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie heilt, ist geringer.
Vorbeugung und Behandlung von Papierschnitten
Denken Sie daran, dass trockene oder kalte Haut, die starrer ist, leichter mit einer Papierkante geschnitten werden kann. Um Ihre Haut generell zu schützen, ist es am besten, sie mit Feuchtigkeit zu versorgen und bei Kälte Handschuhe zu tragen.
Die Verwendung von Werkzeugen zum Öffnen und Ablecken von Umschlägen kann auch einige der häufigsten Papierschnitte an Händen und Mund verhindern.
Wenn Sie einen oberflächlichen Papierschnitt haben, reinigen Sie die Stelle, versuchen Sie, die Schnittkanten nicht abzutrennen, und tragen Sie eine antibiotische Salbe und einen Verband auf, um die Haut zusammenzuhalten und eine Infektion zu vermeiden. Bei tieferen Schnitten kann natürlich ärztliche Hilfe erforderlich sein.
Bei den meisten Menschen heilt ein Papierschnitt innerhalb von zwei oder drei Tagen ab. Wenn sich die Wunde jedoch in dieser Zeit nicht bessert – vor allem, wenn Sie Diabetes haben oder anderweitig immungeschwächt sind – sprechen Sie mit Ihrem Arzt, um sicherzugehen, dass die Wunde nicht ein anderes Problem auslöst, z. B. eine Infektion.
Unsere Finger und Hände sind technische Meisterleistungen, die jeden Tag so viele Aufgaben erfüllen: einen Stift benutzen, kochen, schneiden, Gegenstände im Dunkeln ertasten. Das alles können wir dank der vielen Nervenenden und Nervenorganellen in unseren Fingerspitzen. Wenn Sie sich das nächste Mal am Papier schneiden, denken Sie daran, dass der Grund für die Schmerzen derselbe ist, warum Sie so viel mit Ihren Händen machen können.
Kiran Rajneesh ist Neurologe und Schmerzmediziner am Wexner Medical Center der Ohio State University.