„Was bedeutet die folgende Stelle: ‚Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!'“ (Johannes 20:22).
Der Kontext im Johannesevangelium lautet wie folgt:
„Jesus sprach nun abermals zu ihnen: Friede sei mit euch; wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten“ (Johannes 20,21-23).
An anderer Stelle1 haben wir die Frage diskutiert, ob die Apostel die „Vergebung der Sünden“ verkündeten. In diesem Artikel werden wir uns daher nur mit der Aufforderung des Herrn befassen: „Empfangt den Heiligen Geist“.
Dieser Vorfall kann nicht von anderen ergänzenden Informationen über den Empfang des Heiligen Geistes durch die Jünger Christi isoliert werden. Hier sind einige wichtige Dinge zu bedenken.
Der Geltungsbereich
Erstens stellt sich die Frage, wen der Begriff „Jünger“ umfasst. Umfasst das Wort mehr als die „Apostel“? Oder ist der Begriff „Jünger“ in diesem Zusammenhang auf sie beschränkt?
Auch wenn viele angesehene Gelehrte der Meinung sind, dass ein breiterer Personenkreis als die Apostel an dieser Verheißung beteiligt war, muss doch eingeräumt werden, dass „Jünger“ an zahlreichen Stellen zu einem eher technischen Begriff wird, der mit „Apostel“ gleichzusetzen ist (vgl. Matthäus 10,1-2; 11,1; Johannes 2,2; 3,22 usw.). Es ist von besonderer Bedeutung, dass der Ausdruck, wonach Christus vom Vater „gesandt“ ist und somit die Apostel „senden“ würde (vgl. Johannes 17,18), in diesem Zusammenhang verwendet wird. Es ist vielleicht erwähnenswert, dass der Ausdruck „Apostel“ im Johannesevangelium nie für die Zwölf verwendet wird.
J.H. Bernard (1860-1927), der brillante Gelehrte des Trinity College in Dublin, hat argumentiert, dass zwar andere Jünger bei dieser Gelegenheit anwesend gewesen sein mögen, dass aber diese besondere Berechtigung nur den Aposteln zustand, die speziell ausgewählt worden waren und „ausgesandt“ werden sollten.
Bernard zitiert zahlreiche Zeugnisse der frühesten patristischen „Väter“ (z.B., Justin, Origenes, Cyprian usw.) zugunsten dieser Ansicht und sagt, er kenne keine Gegenstimme unter den antiken Schriftstellern, die diesen Text erörterten2.
Die Handlung
Einige Gelehrte argumentieren zwar, dass dieses „Anhauchen“ der Jünger sich auf den Empfang des Heiligen Geistes zu diesem Zeitpunkt bezog, aber diese Ansicht scheint nicht mit dem gesamten Spektrum der neutestamentlichen Beweise übereinzustimmen3.
Es spricht einiges für die Ansicht, dass dieses „Hauchen“ des Herrn nur eine symbolische, visuelle Andeutung der Kraft war, die den Aposteln am Pfingsttag verliehen werden würde. Hier sind einige Punkte, über die man nachdenken sollte.
Prophetische Grammatik
Am Ende von Vers 21 erklärte der Herr: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende auch ich euch.“ Das Präsens scheint hier prophetisch verwendet zu werden, im Hinblick auf die Gewissheit ihrer Mission, die offiziell an Pfingsten beginnen würde.
Das scheint insofern klar zu sein, als die „Aussendung“ erst nach Pfingsten begann, weil sie beauftragt wurden, nicht von Jerusalem wegzugehen, bis der Geist auf sie herabkam. Man beachte, dass Lukas dieselbe Art von prophetischer Gegenwart verwendet, um dieses Ereignis zu schildern. „Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Bleibt aber in der Stadt, bis ihr mit Kraft aus der Höhe bekleidet werdet“ (Lk 24,49).
Der Heilige Geist in Verbindung mit der Vergebung der Sünden
Die Gegenwart des Heiligen Geistes ist hier mit der apostolischen Erklärung über die „Vergebung der Sünden“ (V. 23) verbunden. Aber dieser Auftrag zur erlösenden Befreiung wurde erst einige Wochen nach dieser Begebenheit verkündet und in seiner ganzen Fülle, die auf dem Tod und der Auferstehung Christi beruhte, umgesetzt; erst am Pfingsttag (Apg 2,38).
Es scheint also so zu sein, dass die Episode in Johannes 20,22 nicht den tatsächlichen Empfang einer übernatürlichen Befähigung durch den Heiligen Geist bei dieser unmittelbaren Gelegenheit beinhaltete. Vielmehr war dieser Umstand nur ein Vorgeschmack auf die Verheißung, die sich fast fünfzig Tage später erfüllen sollte. Ich glaube, dass W.E. Vine den Sinn des Textes recht gut erfasst hat.
„Empfangt den Heiligen Geist“ (Randbemerkung des R.V.) bezog sich nicht nur auf seinen eigenen Atem, sondern war symbolisch für den Heiligen Geist, der zu Pfingsten ausgesandt werden sollte. Es stand im Zusammenhang mit ihrer Aussendung in die Welt und mit der Wirkung ihres Dienstes am Evangelium, nämlich der Vergebung der Sünden durch die Kraft des Geistes oder der Beibehaltung der Sünden durch die Ablehnung der Botschaft (V. 23, 24). Es war sowohl ein prophetischer als auch ein symbolischer Akt4.
In seinem Johanneskommentar schreibt Frank Pack:
Es gibt hier keinen Hinweis darauf, dass die Apostel zu diesem Zeitpunkt den Heiligen Geist empfingen. Jesus versicherte ihnen am Auferstehungssonntag symbolisch, dass das, was er ihnen versprochen hatte, eintreten würde. Aber Lukas setzt den „Anfang“ der Kirche auf Pfingsten (Apg 11,15), und Petrus findet, dass die Erfüllung von Joels Prophezeiung über „die letzten Tage“ an Pfingsten beginnt (Apg 2,17). Hier verband Jesus den Heiligen Geist mit der Vergebung und Bewahrung der Sünden, indem er auf die Verkündigung der Apostel von „Umkehr und Vergebung der Sünden“ (Lk 24,47) vorausblickte5
Für eine gründlichere Erörterung, die diese Ansicht darlegt, siehe: D.A. Carson, The Gospel According to John, Grand Rapids: Eerdmans, 1991, S. 651-655).