Was man sagen soll, wenn man Trauernde tröstet

Die jüdische Tradition versteht das Dilemma derjenigen, die Trauernde trösten wollen, aber keine Worte des Trostes formulieren können, und bietet daher eine formelhafte religiöse Antwort auf ein im Grunde unaussprechliches Gefühl. So können die Tröster ihre Gefühle auf eine beruhigende und spirituelle Weise ausdrücken, ohne befürchten zu müssen, dass ihnen angesichts einer unwiederbringlichen Tragödie die Sprache verschlägt.

Das Kronjuwel des jüdischen Trostes

„Möge Gott dich unter den anderen Trauernden von Zion und Jerusalem trösten (Ha’makom yenahem etkhem betokh she’ar avelei Tziyonvi’Yerushalayim).“

Dieser traditionelle Abschied der Trauernden, den das Judentum eingeführt hat, ist sorgfältig aufgebaut und tiefgründig. Er vermittelt positive Gefühle mit immer tieferen Bedeutungsebenen, selbst für diejenigen, die das wörtliche Hebräisch nicht verstehen oder sich kaum an die Worte erinnern oder sie sogar richtig aussprechen können.

Diese Formel verlässt sich auch darauf, dass Gott die Hauptverantwortung für den Trost der Trauernden übernimmt – zu trösten ist menschlich, zu trösten göttlich. Trauernden mag es schwerfallen, die persönlichen Worte eines Menschen vollständig zu akzeptieren, aber sie fühlen sich vielleicht leichter getröstet durch die Anrufung der Teilnahme Gottes an der Trauer. Die Ideen, die in diesem Satz enthalten sind, sind eine Zusammenfassung der religiösen und spirituellen Mittel, die die Tradition verwendet, um dem Trauernden Trost zu spenden.

Ha’makom

In diesem Segensspruch wird Gott mit einem spezifischen und wenig bekannten Namen bezeichnet, „Ha’makom“, was einfach mit „Der Ort“ übersetzt wird. Gott wird als „Ort“ bezeichnet, weil der Raum Stabilität, festen Boden und Verwurzelung ausdrückt – das Gegenteil des Ätherischen. Ein „Raum“-Begriff wird anstelle eines „Zeit“-Begriffs wie dem Tetragrammaton – dem vierbuchstabigen Wort für Gottes Namen, das Ewigkeit bedeutet – verwendet, weil Trauernde das Hier und Jetzt bewohnen müssen.

Der Raum ist der Rahmen für Trauernde – der Ort der Schiwa, der den gewohnten Platz beim Gottesdienst verändert. Die Zeit dagegen ist unendlich, unbeständig und unkontrollierbar.

Durch die Verwendung des Wortes „makom“ wird außerdem eine mögliche negative Reaktion der Trauernden abgewendet. Indem man Gott mit diesem tröstlichen Namen anruft, vermeidet man es, den Trauernden, die durch Gottes unumkehrbaren Beschluss in ihren Grundfesten erschüttert sind, Gottes vertrauten, ehrfurchtgebietenden Namen ins Gesicht zu drücken. Das ist in der Tat auch der Grund dafür, dass die Trauernden nicht mit dem üblichen „Schalom“ begrüßt werden, denn Schalom ist ein anderer Name für den allmächtigen Gott, ein Name, den man in dieser beunruhigenden Zeit nur schwer annehmen kann.

Yenahem

Das zweite Wort des klassischen Abschiedssegens ist das hebräische Wort für „trösten“, aber es wird in der Bibel nicht immer für diesen Zweck verwendet. Als die Israeliten Gottes Vertrauen missbrauchen, wird Gott als va’yenahem dargestellt – er „bereut“ die Erschaffung der Menschen oder „bereut“, Israel aus der Sklaverei befreit zu haben. Das scheint alles damit zu tun zu haben, dass Gott sozusagen einen Sinneswandel durchmacht, und nichts damit, dass Gott tröstet.

Aber wir müssen eine Verbindung verstehen, die nicht sofort sichtbar ist. Jedem Trost ist ein Gefühl des tiefen Bedauerns immanent. Bedauern weckt das Bedürfnis nach Veränderung und löst eine Akzeptanz des Verlustes aus, die unweigerlich zu tiefem Trost führt. Sie zwingt die Menschen dazu, die Welt, die sich nach dem Tod eines Freundes oder Verwandten dauerhaft verändert hat, zu überprüfen, neu zu bewerten und sich neu anzupassen. Sie weist auf einen Richtungswechsel hin – die Anpassung an einen neuen Status und neue Beziehungen zwischen allen Mitgliedern der Familie oder des Unternehmens oder des inneren Kreises und die Unterwerfung unter die Selbstveränderung, wenn das möglich ist.

Betokh She’air Avelei Tziyon vi’Yerushaliyim

Die Formel ist jedoch unvollständig ohne ihre zweite Hälfte: „Unter den anderen Trauernden von Zion und Jerusalem“. Mit diesem Satz wendet sich der Tröster nachdrücklich von der natürlichen Tendenz ab, sich nur auf die gegenwärtig Trauernden zu konzentrieren. Er verbindet sowohl den spezifischen Trauernden als auch die Trauer im Allgemeinen auf zwei hervorstechende und subtile Weisen.

Erstens erweitert der Satz Gottes Trost auf „andere Trauernde“ – von Zion und Jerusalem – und bringt damit ein entscheidendes Gebot im Prozess der Trauerarbeit zum Ausdruck: das universelle Bedürfnis der Trauernden, ihren Kummer zu teilen, die natürliche Verbundenheit aller Trauernden untereinander. Die Trauernden sind nicht allein, und das müssen sie wissen, damit sie sich nicht von Gott ungerecht behandelt fühlen und besonders leiden müssen. Der Satz bringt die Trauernden auch zu der Erkenntnis, dass der Tod in all seinen Erscheinungsformen von allen erlitten wird, von „anderen Trauernden“, und dass er eine inhärente Qualität des Lebens ist.

Unterschwellig wird noch eine weitere Bedeutungsebene impliziert: Andere sind wirklich in der Lage, ihren Schmerz zu teilen.

Noch subtiler in den Falten des Satzes „die anderen Trauernden von Zion und Jerusalem“ versteckt ist die Lehre, dass die vergangenen schweren Verluste der Trauernden mit ihrem gegenwärtigen Verlust verbunden sind. In der Tat erleiden und betrauern wir im Laufe unseres Lebens viele Verluste: einen geliebten Menschen, einen lieben Freund, eine Geschäftsbeziehung, unseren Lebensunterhalt oder unser Prestige. Oder wir trauern um eine zerstörte Gemeinschaft, vielleicht um eine heilige Stadt wie Jerusalem oder um eine fromme Idee wie Zion. Viele können alte Trauer nie überwinden; schreckliche Ereignisse aus der Vergangenheit können ihren langen Schatten auf ein neues Trauma werfen. Sogar die Nacht hat ihre Schatten.

Trauern sollte als ein fortlaufender Prozess der Anerkennung eines kumulativen Unglücks und nicht nur einer kürzlichen Katastrophe betrachtet werden. Eine ganze Sammlung vergangener Verluste schleicht sich so heimlich in die neue Trauer ein, obwohl die meisten Trauernden den neuen Verlust als eine einzige monolithische Last betrachten.

Im Englischen hat „grief“ weder Singular noch Plural, sondern nur einen umfassenden Sinn. In ähnlicher Weise ist das hebräische Wort für Trauer, „avel“, ein umfassender Begriff. Das Gleiche gilt für „hefsed“ (Verlust) – wir sprechen von hefsed merubah (großer Verlust) und hefsed mu’at (kleiner Verlust), aber nicht im Singular oder Plural als solcher. Andererseits hat „nehamah“ (Trost) einen fertigen Plural – „tanhumim“ (viele Tröstungen).

Der jahrhundertelange jüdische Sprachgebrauch, ausgedrückt in den üblichen Formen der Alltagssprache, wirft ein Licht auf den bedeutenden Gegensatz zwischen angesammeltem Kummer und einzelnen Tröstungen. Dieser sprachliche Einblick in das Judentum lehrt zwei kontraintuitive Wahrheiten: Erstens teilen alle Trauernden, wie unterschiedlich ihre Verluste auch sein mögen, eine gemeinsame Trauer und bilden ein gemeinschaftliches Netz der Trauer, obwohl jeder einzigartig ist. Und doch bilden die besonderen Trauererfahrungen eines einzelnen Trauernden ein persönliches Netz von Sorgen, das niemand sonst teilt.

Die jüdische Tradition verlangt in ihren aschkenasischen und sephardischen Formeln, dass dieser besondere hebräische Satz gesprochen wird, weil er einen grundlegenden Grundsatz des Judentums enthält: Wir sind die Anliegen Gottes, nicht nur als einzigartige Individuen, sondern auch als einer unter vielen anderen, die leiden und die immer einbezogen werden müssen. Eine oft wiederholte Lehre des Judentums lautet, dass Gott uns nur dann heilt, wenn wir ihn zuerst darum bitten, anderen zu helfen.

Dies gilt insbesondere dann, wenn wir uns an Gott wenden, nicht um Trost für einen persönlichen Verlust zu suchen, sondern für das Überleben von Zion und Jerusalem. Deshalb sprechen wir, wenn wir kranken Menschen Gottes Segen zusprechen, von „she’ar holei Yisra’el“ (den anderen in Israel, die krank sind). Wir bekräftigen, dass Gott sich nicht nur um Einzelne kümmert, sondern auch um die ganze Gemeinschaft Israels.

Gott ist zugleich der öffentliche Gott des Volkes Israel und auch der Gott der Personen, Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie wir in jedem Gottesdienst beten. Der französische katholische Philosoph Blaise Pascal, einer der klügsten Köpfe des 17. Jahrhunderts, ließ sich diesen Satz in sein Jackenfutter nähen: „Ich glaube an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht an den der Philosophen oder der Weisen“, weil er seinen ganz persönlichen Glauben an einen persönlichen Gott widerspiegelte und weil er sicherstellen wollte, dass er ihn überallhin mitnehmen konnte. ….

Die tröstlichsten Worte

Die wohl tröstlichsten Worte, die ich je gehört habe, sind diese: „Erzählen Sie mir, wie Ihr geliebter Mensch wirklich war.“ Der Dialog zwischen Trauernden und Tröstern während der Schiwa soll die Hinterbliebenen nicht ablenken, sondern die Trauernden ermutigen, über den Verstorbenen zu sprechen – über seine Qualitäten, Hoffnungen und sogar Schwächen – und natürlich nicht den Toten zu kritisieren, der nicht antworten kann. Weit davon entfernt, die Qualen des Verlustes in Erinnerung zu rufen, gibt sie den Hinterbliebenen die Möglichkeit, Erinnerungen wachzurufen und ihren Kummer laut auszudrücken.

Psychologen versichern uns, dass Trauernde ausdrücklich über ihren Verlust sprechen wollen. Eric Lindemann schreibt in seinem Klassiker „The Symptomatology and Management of Acute Grief“: „Es gibt keine Verlangsamung des Handelns und Sprechens; ganz im Gegenteil, es gibt einen Rededrang, besonders wenn man über den Verstorbenen spricht.“

Beide, die Worte der Trauernden und ihre Tränen, sollten nicht vermieden oder unterdrückt werden. Für die Trauernden und für die Tröster machen die Worte wirklich einen Unterschied. „Sag mir, wie dein geliebter Mensch wirklich war“ ist ein guter Anfang.

Abgedruckt mit Genehmigung aus Consolation: The Spiritual Journey Beyond Grief (Jewish Publication Society).

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